Kristina Benjockis Werk beschäftigt sich mit politischen Prozessen des Erinnerns und Vergessens im Kontext eines ehemals zweigeteilten Europas in Installationen, Tonarbeiten, Webereien und Filmen. In ihrer Ausstellung im IKOB legt sie ihren Fokus sowohl auf die Geschichte der Eupener Textilindustrie, als auch auf ihre persönlichen biografischen Verbindungen zur Textilproduktion. Das Ergebnis ist eine poetische Befragung über die Verknüpfungen zwischen der Tätigkeit des Webens und Idealen von technischem Fortschritt, politischer Geschichte und konstruierter kultureller Identität.

Im Zentrum der Ausstellung steht Tableaux VI-VII, La composition (2022), eine bisher nie ausgestellte Installation von großformatigen, doppelseitigen Wandteppichen. Die Künstlerin fertigte sie in Handarbeit auf ihrem eigenen Webstuhl, wobei sie Kenntnisse und Bewegungen reproduzierte, die seit Urzeiten vor allem von Frauen wiederholt und weitergegeben werden. Die Muster basieren auf einer Reihe von Rasterzeichnungen für Teppiche, die in der Tradition der Piroter Kelime in Serbien, der Heimat der Künstlerin, gewebt werden. Die Geschichte dieser Teppiche lässt sich bis ins Mittelalter, in die Zeit vor der islamisch-osmanischen Herrschaft auf dem Balkan zurückverfolgen, und wurde später zum Anknüpfungspunkt einer postkommunistischen nationalen Identität verwendet. Durch die Werkreihe wird deutlich, wie eng Textilien mit Migration, Handel und politischer Macht verwoben sind.

Benjocki arbeitet beinahe archäologisch, wobei ihr besonderes Interesse dem Übersehenen, dem Verborgenen und dem Verdrängten gilt. Die Entwicklungsgeschichte der Menschheit konzentriert sich oft auf harte Materialien wie Stein, Bronze oder Eisen. Aber ohne vergängliche, aus Fäden hergestellte Oberflächen, oft das Produkt der Arbeit von Frauen, ist eine Zivilisation nicht denkbar. Bis heute sind wir für das Überleben und Funktionieren unserer Gesellschaft auf Kleidung, Einrichtungsgegenstände und Stoffe aller Art angewiesen. Kristina Benjockis Arbeit verfolgt diese Fäden, die sich durch die Geschichte schlängeln und winden. Sie verkompliziert die häufig untergeordnete Position von Textilien und der damit verbundenen Arbeit und fordert uns auf, einen genaueren Blick auf ihre strukturelle Bedeutung für unser Leben zu werfen.

Die Ausstellung wird großzügigerweise von der Botschaft des König:innenreichs der Niederlande und dem Mondriaan Fonds unterstützt.

KRISTINA BENJOCKI (*1984, lebt und arbeitet in Amsterdam) hat an der Universität der Künste in Belgrad, der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam und der Königlichen Kunstakademie in Den Haag studiert. Sie war zudem Artist-in-Residence an der Jan van Eyck Academie in Maastricht. Benjockis Arbeiten wurden im Stedelijk Museum in Amsterdam, im Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Rijeka (Kroatien), in der Kunstgalerie der Amerikanischen Universität Beirut und in Izolyatsia in Kiew ausgestellt. Neben ihrer Präsentation im IKOB bereitet sie Einzelausstellungen im Museum für zeitgenössische Kunst Belgrad, im Legat Čolaković und im Nationalmuseum Zrenjanin vor. Von 2019 bis 2023 wird ihre Praxis durch den Mondriaan Fonds unterstützt.

Besonderen Dank an die folgenden Mitwirkenden:
Isfrid Angard Siljehaug (Webexpertin)
Seamus Cater (Komponist und Interpret von "The Analytical Engine")
Alexandros Papamarkou (Tontechniker für "The Analytical Engine")

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Ausstellungsansicht, AT SUNSET WE RETREAT ONCE AGAIN, UP THE HILL, TO WHERE WE CAN WATCH THE SKEINS OF WATER REFLECT COLOURS WE'VE NEVER SEEN BEFORE Kristina Benjocki, © IKOB - Museum für Zeitgenössische Kunst, Foto: Lola Pertsowsky

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