Bei der documenta 2017 in Kassel sahen die Kunstenthusiast:innen aus der ganzen Welt ein verwirrendes Schauspiel. Aus dem Zwehrenturm des Fridericianums stieg konstant weißer Rauch auf. Was wie ein Brand aussah, war tatsächlich eine Installation des Künstlers Daniel Knorr. Kurz zuvor hatte er im Athener Teil der documenta sich noch als eine Art Archäologe des Alltags betätigt und mit einer monumentalen Schrottpresse Fundstücke und wertfreie Gegenstände, die er auf den Athener Straßen aufgelesen hatte, zu Katalogen pressen lassen, welche die Besucher:innen als Unikate kaufen konnten. Knorr gilt als Meister der Bedeutungsverschiebungen und Teilhabe an seiner Kunst durch die Betrachter:innen.

Das IKOB - Museum für Zeitgenössische Kunst präsentiert nun, in der ersten Einzelausstellung Knorrs in Belgien, eine Übersicht seines bildhauerischen Schaffens der letzten drei Jahre. Mit dem Titel der Ausstellung FLAGSHIP STORE bezieht sich Daniel Knorr nicht nur auf die Tempel des Konsums wichtiger globaler Marken, wie Apple, Louis Vuitton oder M&M’S, sondern auch auf seine eigene Marke, die er als Künstler im Lauf seiner Karriere geschaffen hat. Die Idee seine Kunst nicht nur zu produzieren, sondern in seinem eigenen Geschäft zu verkaufen und zu vermarkten stammt vom Beginn seiner Karriere als international gefragter Künstler. Angesichts der bis heute wirkmächtigen Arbeitsteilung des Kunstsystems birgt diese an sich naheliegende Überlegung einiges an kritischem Potenzial, das der Künstler in seinen neueren Werken ganz unterschiedlich aufscheinen lässt. Spielerische Reflexionen über Kunstgeschichte, undogmatische Befragung des Kunstsystems, sowie Vermischungen mit Zeichen der Popkultur ziehen sich als roter Faden durch die Ausstellung.

Im Eingangsbereich des IKOB wartet die erste Coyote Sculpture auf die Besucher:innen. Sie steht etwas gespenstisch im Raum wie ein Mensch, dem man in gebückter Haltung ein Tuch übergeworfen hat. Knorr bezieht sich dabei auf die legendäre Performance I like America and America likes Me für die sich Joseph Beuys 1974 in der Galerie René Block in New York zusammen mit einem Coyoten in einem von den Besucher:innen abgetrennten Raum einschließen ließ. Von der Aktion ist hauptsächlich ein ikonisches Foto übriggeblieben, das Beuys in einem Filzmantel gehüllt im Dialog mit dem Coyoten zeigt. Knorr löst nun den Filz von seinem kunsthistorischen Träger ab, legt eine neue Polyurethan Schicht darüber und hinterfragt die Verschiebung des ungleichen Dialogs zwischen Tier und Mensch von damals bis heute. Das Motiv eines Retro-Bildschirmschoners von Apple, sowie das Schwarze Quadrat von Malevich (1915) bei der Coyote Sculpture im ersten Stock des IKOBs, dienen als kulturelle Schutzhülle und Repräsentanz des Menschen der Gegenwart.

Die Werkserie Berlin Wall Nuggets zeigt Knorrs Interesse an der steingewordenen Sprache der deutschen Hauptstadt und ihre Prägung durch den Kalten Krieg. Prägung nimmt er in diesem Fall wörtlich, denn er findet kleine Vertiefungen in Böden und Wänden der Stadt, nimmt dessen Form ab und gießt sie im Studio. Die kleinformatigen Objekte aus Kunstharz, lassen an Devotionalien oder Reliquien denken, oder an die Stücke der Berliner Mauer, die seit ihrem Fall in rauen Mengen an Tourist:innen verkauft werden.

Das Konzept der Arbeit Calligraphic Wig (2019) im ersten Stock ist die Entdeckung einer neuen Sprache, die sich des heute meistverwendeten Materials, des Kunststoffs, bedient. Der Künstler besuchte eine Recyclinganlage in Hongkong, wo Kunststoff geschreddert und zur Wiederverwendung zu Schnüren geschmolzen wird. In diesem Recyclingprozess wird die Maschine des Öfteren unterbrochen. Bedingt durch Ausfälle und Wartungsarbeiten, entstehen unkontrolliert Gebilde in der Form von Fragmenten eines unbekannten Alphabets, unentdeckter Unterwasserwesen oder noch nie gesehener Teile eines fremdartigen Körpers. Um diese Objekte wieder in den Kreislauf zu bringen, hat der Künstler sie mit den Farben verschiedener Autohersteller lackiert.

Mit seinen Canvas Sculptures offenbart sich nochmals ein wichtiger Strang der Knorrschen Kunsterzählung: der Pendelschlag zwischen Skulptur und Malerei sowie Kunstgeschichte und Gegenwart. Diese Wandobjekte zitieren die Malerei der klassischen Moderne und wirken so, als löse der Künstler diese berühmten Gemälde von der Leinwand ab. Was folgt sind Faltungen, die das Bild zu einem Objekt, und die Betrachter:innen zu Entdecker:innen einer Kunst machen, die sich aus Überlagerungen ikonischer Bilder und Abbilder zunächst aus dem Fundus der Kunstgeschichte bedient und den Status des Bildes in unserer Wissens- und Konsumwelt hinterfragt.

DANIEL KNORR wurde 1968 in Bukarest geboren. Nach dem Kunststudium an der Akademie der Bildenden Künste bei Olaf Metzel in München ging Knorr mit einem DAAD-Stipendium 1994 an das Vermont College of Fine Arts und anschließend von 1995 bis 1997 nach New York. Seit 1998 arbeitet er in Berlin und seit einigen Jahren pendelt er zwischen Berlin und Hongkong. 2005 bespielte er den Rumänischen Pavillon auf der Venedig Biennale. Mit Expiration Movement schuf er 2017 eine der vielzitiertesten Arbeiten im Kontext der documenta 14 und gilt seither als einer der wichtigsten Künstler:innen seiner Generation.

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Ausstellungsansicht (Außenansicht IKOB), Daniel Knorr, FLAGSHIP STORE, © IKOB - Museum für Zeitgenössische Kunst, Foto: Bernd Borchardt